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Die Adrenalinschübe kontrollieren
30.07.2008 /
Kategorie: St.Galler Tagblatt
 
 
 
Inhalt:

Marcel Bürge ist der einzige Ostschweizer Schütze im Schweizer Olympia-Aufgebot

20080730

Schiessen. Der dreifache Weltmeister Marcel Bürge bestreitet in Peking beide 50-m-Kleinkaliber-Konkurrenzen. Sowohl in der Disziplin 3×40 als auch im Liegendmatch zählt der 36jährige Toggenburger zum erweiterten Favoritenkreis.

Urs Huwyler

Marcel Bürge liegt im Schiessstand oberhalb Degersheim und erzielt eine Zehn nach der andern. Die Mitte der Scheibe scheint für ihn so gross wie ein Teller zu sein. Dabei weist der Zehner nur einen Durchmesser von 10,4 mm auf. Der Lütisburger lässt die Treffer elektronisch in Zehnteln messen. «Wichtig ist, dass es sich bei jedem Schuss mindestens um eine 10,4 handelt. Dadurch steigt die Sicherheit, und es besteht nach unten ein gewisser Spielraum, weil an den Wettkämpfen in der Qualifikation nicht mit Zehnteln gerechnet wird. Eine 10,0 ist ebenso eine 10 wie eine 10,9», sagt Bürge.

Plötzlich steht er auf, zieht den Schiesshandschuh aus und sucht in seinem Tagebuch die Seite über den Weltcup in München. Vor zwei Monaten verbesserte er auf der dortigen Olympia-Anlage den Schweizer Rekord von 597 auf 599. Nur einmal leuchtete die Neun auf und 59mal die Zehn. Mit einer solchen Leistung würde er in Peking den Final der ersten acht erreichen. Bürges Ziel sind 600 Punkte. Also die Egalisierung des Weltrekords. Er findet in den Aufzeichnungen einen Hinweis, wie sich die Liegend-Position weiter optimieren liesse. Es geht um eine Änderung von 2 mm am Sportgerät.

Zu High-Tech-Geräten geworden

Ein Spitzenschütze muss auch ein Tüftler sein. «Unsere Gewehre sind zu High-Tech-Geräten geworden. Wie in andern Sportarten muss das Material perfekt auf den Athleten abgestimmt sein», sagt der beste Schweizer. So wie ein Skifahrer bei der Entwicklung der Ski mithilft, bringt Bürge seine Erfahrungen bei Ausrüster und Teilzeit-Arbeitgeber Heinrich Bleiker ein. In Peking wird die bereits 1896 an den Olympischen Spielen in Paris vertreten gewesene Weltsportart keine hohen TV-Einschaltquoten erzielen, weil die Bewegung und die Showelemente fehlen. Wird der Zuschauer mit den Informationen visuell bedient, ist Bürge von der Attraktivität überzeugt. Das Spektakel bei den Biathleten dient als Beispiel. «Weil das Niveau extrem hoch ist, muss die Spannung rübergebracht werden. Dann könnte das Interesse allgemein steigen», sagt der Toggenburger.

Am Weltcup in München reichten liegend 597 nicht für die Finalqualifikation. Schützen aus 16 Ländern belegten die ersten 20 Plätze. Die drei Medaillengewinner schossen in der Entscheidung im Durchschnitt 10,43, 10,42 und 10,53. Marcel Bürge, der am 2. August nach China reisen und zwei Wochen später im Einsatz stehen wird, lag bei 10,29. 2004 in Athen verpasste die Nummer 16 der Weltrangliste den Final als Neunter um einen Rang.

120 Schüsse in drei Stunden

Liegend spielt das Wettkampfglück eine wichtige Rolle. Der Vorarlberger Thomas Mathis schoss vor drei Wochen an der Junioren-EM 592. Sechsmal war es eine 9,9 – also abgerundet eine 9. Sechsmal 10,0 hätten zu Gold gereicht. «Ein minimaler Konzentrationsfehler bedeutet das Aus», sagt Bürge. «Einerseits sind die Adrenalinschübe gross, doch diese können nicht ausgelebt werden, sondern müssen kontrolliert werden. Die ersten und letzten Schüsse sind von der Belastung her extrem.»

Wobei die 60 Schüsse liegend im Vergleich zum Dreistellungsmatch als Vorspeise angesehen werden können. Über drei Stunden 40 Schüsse liegend, 40 stehend und 40 kniend abgeben zu müssen, fordert Geist und Körper. Der Weltrekord des Slowenen Rajmond Debevec steht bei unglaublichen 1186. Ergibt in 120 Schüssen 14mal neun und 106mal zehn. Marcel Bürge hält den Schweizer Rekord mit 1177 Punkten. Erzielt hatte der Lebenspartner der internationalen Schützin Andrea Brühlmann aus Winden die Bestleistung 2006 am Weltcup im chinesischen Guangzhou. Dies war mit Bronze der letzte Weltcup-Podestplatz für den 3×40er-Weltmeister von 2002. Damals wurde er als bisher einziger Schweizer zum Weltschützen des Jahres gewählt.

«In Peking gibt es zwanzig bis dreissig Athleten mit dem Potenzial auf eine Medaille. Ein Punkt kann über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.» Seine Freundin weiss, wovon er spricht: Sie hätte am Weltcup in Mailand einen Punkt mehr erzielen müssen. 578 statt 577 hätten für die Olympia-Selektion gereicht.

 
 

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